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Bürgerthum aber, von seinen Meinungen und Bestrebungen in der Zeit unmittelbar vor der Reformation sind nur wenige Zeugnisse erhalten. Die Memoiren der Minister und Generale, die zeitgenössischen Geschichtswerke lehren ihn nicht hinlänglich kennen. Nur die auswärtigen Unternehmungen, die höfischen Intriguen finden wir in ihnen erörtert, die Meinung des Hofes wird treffend gezeichnet, die öffentliche Meinung, die Gesinnungen des Bürgerthums werden nur flüchtig erwähnt. Vielleicht dass es uns gelingt, auch von diesem einige Spuren zu erfassen, wenn wir den beliebtesten und fruchtbarsten seiner Dichter einer Betrachtung unterwerfen, und damit eine Quelle zu bezeichnen, die jenen Memoiren ergänzend an die Seite tritt.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachten wir in Folgendem die Werke Gringore's, um dann in einem zweiten Aufsatze das Schauspiel eines anderen Dichters zu besprechen, das weitaus das bedeutendste Stück in diesem Cyclus politischer Dramatik zu sein scheint, das zugleich zeigt, in welcher Weise das politische Schauspiel von der Regierung beeinflusst und benutzt wurde.

Ueber das Leben des Pierre Gringore*) ist nur wenig bekannt, zuverlässige Daten darüber geben fast allein die Titelblätter seiner Schriften und die mehrmalige Erwähnung seines Namens in den Urkunden der Stadt Paris. Die Biographie universelle giebt zwar, ohne ihre Quellen zu nennen, noch andere Daten, doch sind dieselben durchaus unzuverlässig. So sagt sie zum Beispiel: Gringore kam zuerst im Jahre 1510 nach Paris, nachdem sein Ruf ihm vorausgegangen war. Die alten Rechnungen der Stadt Paris aber zeigen, dass Gringore bereits 1502 unter den Dichtern und Schauspielern der Hauptstadt eine hervorragende Stellung eingenommen hat. Zu verschiedenen Malen nämlich wurde er von der Stadt Paris beauftragt, die Ankunft des Königs oder einer sonstigen fürstlichen Persönlichkeit durch ein Festspiel zu feiern. Die Summen (fünfzig bis hundert Francs), die er für Dichtung und Aufführung mit Einschluss sämmtlicher Kosten erhielt, sind in den städtischen Rechnungen erhalten und

*) Der Name wird häufig Gringoire geschrieben, der Dichter selbst schreibt ihn stets Gringore.

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mit diesen veröffentlicht. *) Die erste derartige Erwähnung Gringore's findet sich im Etat des Jahres 1502, in welchem ihm bei drei verschiedenen Gelegenheiten die Festvorstellung übertragen wurde.

Aus den Titelblättern seiner Schriften kann die Zeit seines Todes annähernd bestimmt werden. Fast allen Schriften seiner späteren Jahre ist ein königliches Privileg vorgedruckt, das den Verkauf des Buches Jedem verbietet, der nicht von Gringore die Erlaubniss dazu erlangt habe. Die letzte derartige Ausgabe ist von 1541, drei Jahre später erscheinen seine Psalmen in neuer Auflage, von Anderen herausgegeben, mit einem auf andere Namen lautenden Privileg. Zwischen diese beiden Daten muss also der Tod des Dichters fallen. Auf die Zeit seiner Geburt kann man ungefähr daraus schliessen, dass sein Erstlingswerk im Jahre 1500 gedruckt ist und dass er — wie wir sahen bereits 1502 als Theater - Dirigent in Paris bekannt war. Seit dem Jahre 1522 wird er in den Privilegien als Waffenherold des Herzogs von Lothringen und mit dem Namen Vaudemont bezeichnet, wahrscheinlich nach einem Landsitz in Lothringen, den er gekauft oder von dem Herzog zu Lehen erhalten. hatte. Wahrscheinlich hängt sein Weggang von Paris nach Lothringen zusammen mit dem Regierungsantritt Franz des I. und mit der Ungunst, welche seitdem das politische Schauspiel traf. Sonst ist mit Sicherheit noch zu ersehen, dass er in der Gesellschaft der Enfants sans soucy, der launigsten und übermüthigsten unter den drei bekannten Genossenschaften, von denen die Geschichte des alten französischen Theaters erzählt, nacheinander die beiden höchsten Stellungen der mère sotte und des prince des sots bekleidet hat.

So unterscheiden sich leicht drei Perioden seines Lebens. leber Kindheit und Jünglingsalter fehlt jede sichere Nachricht. Nur aus seinem späteren Verhältniss zum Herzog von Lothringen kann geschlossen werden, dass er in Lothringen geboren sei, und da anderweitig von mehreren Kunstreisen berichtet wird, welche die enfants sans soucy 1494 und in den nächstfolgenden

Sauval, La ville de Paris. Vol. III.

Jahren durch die Städte Lothringens unternahmen, *) so ist es nicht unmöglich, dass ihre Darstellungen auf das junge Gemüth des Dichters Einfluss übten und ihn bestimmten, nach Paris zu gehen und sich der Gesellschaft anzuschliessen. Ueber die Art seiner Vorbildung wird nichts berichtet. Universitätsstudien scheint er nicht gemacht zu haben, denn er sagt von sich selbst: ,,Je n'ay degré en quelque faculté.“

Doch liebt er es, nach der Sitte seiner Zeit, mit gelehrten Citaten zu prunken, und er zeigt in der That grosse Belesenheit in den Kirchenvätern und in den klassischen Schriften des Alterthums.

Im Anfang seiner männlichen Jahre sehen wir ihn in Paris. Etwa zwanzig Jahre lang steht er an der Spitze der enfants sans soucy, als der bekannteste und gefeiertste unter den dramatischen Dichtern und Darstellern. Nachdem er die Bühne verlassen hat, ist er dann wieder etwa zwanzig Jahre lang Waffenherold des Herzogs von Lothringen, fast ausschliesslich mit kirchlichen Dichtungen beschäftigt.

Auch die Werke Gringore's zerfallen in drei Theile: die eigentlich politischen, die, anknüpfend an bestimmte staatliche Begebenheiten, politische Dinge besprechen; die religiösen seiner letzten Jahre, und drittens diejenigen Dichtungen, welche weder als religiös bezeichnet werden können, noch durch einzelne Zeitereignisse veranlasst sind.

Das erste der politischen Stücklein — Lettres nouvelles de Milan ist bereits 1500 in Paris gedruckt. Dem Dialog sind zwei aus Lyon datirte Schreiben des Königs vorgedruckt, die den Prevost von Paris benachrichtigen, dass die königlichen Truppen Novara genommen haben, dass Herzog Ludwig von Mailand, bei seinem Versuche, als Schuhmacher verkleidet zu entfliehen, entdeckt und zum Gefangenen gemacht ist. Diese Nachrichten vom Kriegsschauplatz sind es, die den Titel des Stücks veranlasst haben. Der Dichter versucht, die kurzen Depeschen zu illustriren, indem er die siegesstolzen Franzosen, die trauernden Italiener und den unglücklichen Herzog selbst auf

*) Le Page, études sur le théâtre en Lorraine. Mémoires de la société de Nancy. 1848.

der Bühne erscheinen lässt. Leicht erkennt man, dass er von den Ereignissen, die er bespricht, nichts weiss, als was in den beiden kurzen Briefen des Königs enthalten ist. In dem knappen Styl militärischer Meldungen berichten dieselben nur das Ergebniss, ohne die Art der Einnahme und der Gefangennehmung anzudeuten. Der Dichter glaubt natürlich, dass blutiger Kampf und rühmlicher Sieg dem vorausgegangen sind, er weiss nicht, dass die schweizerischen Soldaten des Herzogs ihren Führer zuerst verlassen und dann den verkleidet Entfliehenden verrathen und ausgeliefert haben. So zeigt die lebhafte Phantasie des Dichters, dass er sein Lustspiel geschrieben hat, noch ehe genauere Nachrichten in Paris eingetroffen waren. Der Schluss liegt nahe, dass er es unmittelbar nach dem Eingang der ersten Briefe zur Feier des Sieges gedichtet und aufgeführt hat, vielleicht im Anschluss an die festliche Erleuchtung, mit welcher die Siegesnachricht von den Parisern gefeiert wurde. Die grosse Flüchtigkeit in Anlage und Schreibart, die Fadheit der Witze stimmen damit völlig überein.

Denselben Charakter der Gelegenheitsarbeit tragen alle politischen Stücke des Dichters. Alle sind mit gleicher Flüchtigkeit geschrieben, in einigen gelingt es ihm, den Ton derben Spottes besser zu treffen, doch von dichterischer Empfindung, von edlen Gedanken ist nichts zu finden. Die meisten beziehen sich auf die Kriege des Königs, der Dichter sucht seine Zuhörer für den Kampf zu erwärmen, ihren Hass gegen die Feinde des Königs zu erregen. Von dieser Art sind ausser anderen Stücken La chasse du cerf des cerfs" (1511), worin unter dem Namen des cerf des cerfs der servus servorum dei verspottet wird, und L'espoir de paix" (1510). Der letztere Titel könnte befremden, da er dem kriegslustigen Inhalt zu widersprechen scheint; nach der Meinung des Verfassers sind indessen die Franzosen friedliebende Leute, nur an den Feinden und besonders am Papste liegt die Schuld der fortdauernden Kriege. Um diese Ansicht zu begründen, giebt er in schlechten Versen eine Uebersicht über die Geschichte des Papstthums und zählt eine lange Reihe von Päpsten auf, denen das irdische Gut weit mehr gegolten habe, als christliche Tugend. Er will die Kirche zur frommen Einfalt der ersten Jahrhunderte zurückführen und er bekämpft

die weltliche Macht der Päpste mit derselben Heftigkeit, wie der feurigste Italiener unserer Tage.

Alle diese politischen Gelegenheitsschwänke sind flüchtig in Anlage und Durchführung, von rohem und ungeschicktem Humor, arm an politischen Ideen. Eins nur ist für die weitere Betrachtung hervorzuheben: die Angriffe des Dichters gegen Papstthum und Geistlichkeit richten sich nur gegen die Personen und ihre Fehler, niemals gegen die Lehren der Kirche oder gegen ihre Einrichtungen und Gebräuche.

Von ungleich höherem Werth sind die Schauspiele, die, nicht auf den Augenblick berechnet, der Eigenart und dem Talent des Dichters grösseren Spielraum gestatteten. Nur einige derselben seien hier hervorgehoben, die am meisten geeignet scheinen, den Umfang seines Talentes, seine politischen und gesellschaftlichen Anschauungen zu kennzeichnen.

Zunächst sein Erstlingswerk, das „Chateau de labour", 1499 geschrieben, wie am Schlusse bemerkt ist, und 1500 gedruckt. Mehr noch als die anderen Stücke ist es in Vergessenheit gerathen, von neueren Literatoren wird es fast niemals erwähnt. Die Zeitgenossen dagegen haben es sehr beifällig aufgenommen, wie die zahlreichen Auflagen beweisen, deren drei allein aus dem ersten Jahre erhalten sind. Die Autorschaft Gringore's ist unzweifelhaft, da der letzte Vers seinen Namen

nennt.

Hier finden wir einen wohlhabenden, unthätigen jungen Mann, der, im Bette neben seiner Frau liegend, von bösen Träumen geplagt wird. Nothwendigkeit, Arbeit, Mangel, Kummer und Unbequemlichkeit erscheinen nach einander vor seinen Augen und bringen ihn fast zur Verzweiflung. Kaum haben die quälenden Geister ihn verlassen, so erscheint ein gesetzter, freundlicher Mann von den feinsten und angenehmsten Manieren

Monsieur Barat der sich bemüht, das aufgeregte Gemüth des jungen Mannes zu beruhigen und mit herzlichen Worten sein Vertrauen zu gewinnen. Er schildert die Genüsse, die nur der Reichthum verschaffen könne, die angenehme Musse unthätigen Lebens, er zeigt, dass es nicht schwer sei, Reichthümer zu gewinnen auf Kosten der Dümmeren. Langsam, Schritt für Schritt, schreitet der Versucher vor, doch das Gewissen des

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