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Molière's, Lafontaine's, Pascal's, Sévigné's, St. Simon's, das schlichteste und edelste Gewand vielleicht, das der moderne Geist im täglichen Leben je getragen hat. Das ist, mit heimathlichen Nachklängen aus der Touraine, die Sprache der sieben weltberühmten Mährchen: La Barbe bleue, le petit Chaperon rouge, les Fées, la Belle-au-bois - dormant, le Chat botté, Cendrillon et le petit Poucet.* Perrault, der sich wahrscheinlich als früherer Hofbeamter, als Mitglied der französischen Academie und College des Satyrikers Boileau, etwas schämte, den Grossvater- und Kinderton so gut getroffen zu haben, liess das kleine Buch unter dem Namen seines zehnjährigen Söhnchens erscheinen, mit dem Titel: „Histoires ou Contes du temps passé. Geschichten oder Mährchen aus vergangener Zeit." Geschichten ist bekanntlich auch das ächte Kinderwort für solche Erzählungen. Das gestochene Titelblatt dieser ersten Ausgabe (der späteren Mährchenfrau Grimm's ähnlich), stellt eine alte Spinnerin dar, die einem kleinen Mädchen und zwei Knaben erzählt. Darüber steht die humoristische Inschrift: „Contes de ma mère l'Oye. Das Buch war einer Prinzessin, der Mademoiselle, Tochter der Elisabeth Charlotte von der Pfalz (die selbst eine gute Mährchenerzählerin war) gewidmet. Mehr als fünfhundert Ausgaben dieser Mährchen sind seitdem erschienen. Eine solche, gewiss wohlverdiente Popularität wird uns hinreichend rechtfertigen, wenn wir hier mit einigem Eifer für die richtige Würdigung unseres Landsmanns auftreten. Eine nähere Charakteristik 'seiner Art und Weise sei uns erlaubt, um zu beweisen, dass er, wie kein anderer Franzose, dem deutschen Gemüthe entsprechend geschrieben hat, und nur einer treuen Wiedergabe bedarf, um auch in Deutschland heimisch zu werden.

Seinem Ursprung und seiner Gattung nach reiht sich, natürlich in sehr untergeordneter Weise, das ächte Volks- und Kindermährchen dem Volksepos an. Jahrhunderte lang mündlich vorgetragen, von Niemand und von Allen verfasst, sind sie

* Mit Riquet à la Houpe, Griselidis und les Souhaits, die einzigen authentischen Mährchen Perrault's. L'adroite Princesse und Peau d'âne in Prosa sind nicht von ihm.

doch beide gewiss von vergessenen Dichtern und dichterischen Köpfen erfunden worden. Oft verunstaltet, werden sie dann wohl schliesslich nicht nur gesammelt, sondern definitiv gestaltet von einem letzten Dichter, der ihnen mit Ehrfurcht ihren allgemeinen, unpersönlichen Charakter bewahrt. Zu dieser epischen Unpersönlichkeit gelangt aber nur die vollste Persönlichkeit: die klare, nationale Persönlichkeit eines Repräsentativdichters. Und ein solcher ist ein jeder pur-sang - Erzähler, der Mährchenschreiber in seiner Art ebenso gut wie ein Homer. - Zu dieser Menschengattung gehört nun, an seiner bescheidenen Stelle, der brave Perrault. Das werden Alle diejenigen erkennen, die das Volksthümliche anders noch als unter bäuerischen oder verwilderten Formen zu schätzen wissen.

Es ist eine Freude, zu sehen, wie er noch nach urepischerja, klänge es nicht so ernst, man könnte fast sagen, nach biblischer Art erzählt; rein objectiv und doch ohne Starrheit und Kälte, mit dem behaglichen Ton eines ruhigen Glaubens an die Sage, die er nur wiederholen will, wie er sie gehört. Seine Phantasie malt nur Frescobilder in spärlichen Zügen, die sich, frei von kleinen Details, aus einer tiefen Zeit- und Raumperspective abheben. Die Hauptmomente der Handlung bringt er ganz vorzüglich und ohne Uebertreibung zum dramatischen Relief, so dass der dramatische Dichter sie gleich von ihm für die Bühne entnehmen kann, wie Tieck es bekanntlich gethan hat. Weit entfernt davon, seinen Styl zu verzieren, spricht er gewöhnlich in schlichten, kinderleichten Sätzen, die gleichsam den Charakter des auswendig Gewussten an sich tragen, und sich auch in jedes Gedächtniss unwillkürlich einprägen. Er gebraucht gern, als gewissenhafter Zeuge, veraltete, aber authentische Redensarten, die wie die Stimme der Urzeit an uns heranklingen. „Tire la chevillette, la bobinette cherra", ruft dem Wolf an der Thür Rothkäppchen's Grossmutter zu, die nicht bloss grand'mère, sondern mère-grand heisst, was sie noch viel antiker macht. Um den Vorwurf der Monotonie unbekümmert, fängt Perrault jede Erzählung gleich an mit dem sacramentalen: Il était une fois". . . die alte Zauberformel, die den andächtigen Zuhörer unmittelbar in die Mährchenwelt versetzt. Die beim Volksdichter so häufigen wörtlichen Wiederholungen

ganzer Sätze, die zugleich urkundlich und refrain-artig wirken, kommen in seiner Erzählung öfters vor. So z. B. Rothkäppchen's Antwort an den Wolf, die diesem als Passwort zur Grossmutter dient und zuletzt von Rothkäppchen dem verkappten Bösewicht noch wiederholt wird. Wer kennt nicht die Fragen des kleinen Mädchens: „Grossmutter! was hast du für grosse Augen!" etc. Nicht weniger bekannt sind die drei Verzweiflungsrufe von Blaubart's Frau: „Anne, ma soeur Anne, ne vois-tu rien venir!?" Et la soeur Anne répondait: „Je ne vois rien que le soleil qui poudroie et la terre qui verdoie!" etc.

Trotz dieses altherkömmlichen Anstrichs, zeigt sich nirgends bei Perrault eine archaïstische Liebhaberei. Der würdige Erzähler hat zwar sein Hofkleid bei Seite gelassen, nicht aber, um es gegen irgend eine unbeholfene Dorftracht zu vertauschen. Sein Vortrag, in seiner wortkargen Einfalt und Bonhomie, bleibt rein von aller populären und kindischen Affectation.

Ganz frei von gewissen Fehlern dieser Art scheint uns im Gegentheil die berühmte Mährchensammlung der Brüder Grimm nicht zu sein. Wir sagen dies mit aller schuldigen Hochachtung vor den grossen Gelehrten. Ihre Sammlung haben sie, mit bescheidener Selbstverläugnung, als vom Volksmunde treu niedergeschrieben angegeben; die öffentliche Meinung schreibt ihnen selbst jedoch, wir glauben mit Recht, einen bedeutenderen Antheil an der Redaction derselben zu. Eine gewisse Kleinmalerei, dem mündlichen Vortrag nicht eigen, verräth zumal in der Erzählung die Feder des geübten Schriftstellers, der verschiedene Versionen benutzt, von einer zur andern Stücke und Stückchen überträgt, hie und da einen persönlichen Einfall zulässt, eine Lücke füllt, ein Blümchen zusetzt. Die „verstimmende Absicht" macht sich so zuweilen bemerkbar. Der Verfasser will volksthümlich sein, aber er lässt sich bis zur populären Redseligkeit hinreissen, oder verfällt in Manier. Ganz anders Perrault. Dem wirklichen Volkserzähler gleich, übersieht er die Sachen aus der Vogelperspective, und bewährt in Entwurf und Ausführung des Ganzen eine entschieden höhere, sichere Meisterschaft. Wer eins seiner Mährchen mit einem desselben Inhalts aus der Grimm'schen Sammlung vergleicht, der wird zugeben müssen, dass das erstere eine edlere Volksthümlichkeit aufweist. Auch

steht das Perrault'sche Mährchen einer älteren, heroïschen Zeit näher, wo die Sage noch in Schloss und Burg heimisch war, während sie manchmal bei Grimm nur noch Bauernhüttchen und Kleinbürgerstübchen zu kennen scheint.

W. Grimm in den Anmerkungen zu seiner Sammlung erkennt selbst die Vorzüglichkeit der Perrault'schen Erzählung im Allgemeinen an, scheint aber sie zu verkennen beim Besprechen einzelner Stücke. Im französischen Aschenbrödel z. B. vermisst er den „bedeutenden Zug" der bösen Schwestern, die sich die Ferse und die Zehe des Fusses mit einem Messer abhauen, um in den kleinen Pantoffel hinein zu können. Steckt dahinter nicht der Mythus was doch zu beweisen ist so kann man im Vermeiden solcher Grässlichkeiten, dünkt uns, eher den Beweis eines edleren Geschmacks, als einen Mangel finden. Vom französischen Däumerling weiss er ebenfalls nur zu sagen, dass er nicht so eigenthümlich wie der deutsche wäre. Der französische Petit Poucet aber, der noch menschliche Proportionen behält und auf dem Boden der Möglichkeit bleibt, bildet mit seinen verhungerten Eltern, mit seinen Brüderchen, die er vor dem Oger rettet, ein kleines Volksepos, das Einem ganz anders an's Herz geht, als das kleine, deutsche Schneiderlein, das durch Schlüssellöcher geht, und dessen Abenteuer in ihrer gesuchten Eigenthümlichkeit reine Phantasiewitze sind.

Ein Vergleich des Grimm'schen mit dem Perrault'schen Rothkäppchen kann am leichtesten als Beispiel zu dem, was oben gesagt, dienen. Die Frage des Ursprungs dieses wie anderer Mährchen wollen wir hier nicht erörtern. Diese beiden Versionen scheinen uns aber gegeneinander zu stehen wie Original und freie Nachahmung. Wir geben hier den ganzen Perrault'schen Text.

* Dieselben Mährchen finden sich bekanntlich mit mehr oder weniger abweichenden Zügen bei allen indo-europäischen Völkern wieder. Sind sie grösstentheils als Ueberbleibsel arischer Naturmythen schon in der Mährchenform, bei vorgeschichtlichen Völkerwanderungen, aus Centralasien nach Nord und Süd, nach Ost und West zugleich gewandert? - Haben sie sich theilweise in späteren Zeiten aus verwandten Elementen, Götter- und Heldensagen, mythischen Sprichwörtern und bildlichen Redensarten, wie aus gleichartigen Keimen, bei den ver

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Le petit Chaperon rouge.

Il était une fois une petite fille de village, la plus jolie qu'on eût su voir: sa mère en était folle, et sa mère-grand plus folle encore. Cette bonne femme lui fit faire un petit chaperon rouge qui lui séyait si bien, que partout on l'appelait le petit Chaperon rouge.

Un jour, sa mère ayant cuit et fait des galettes, lui dit: Va voir comment se porte ta mère-grand; car on m'a dit qu'elle était malade: portelui une galette et ce petit pot de beurre.

Le petit Chaperon rouge partit aussitôt pour aller chez sa mère-grand, qui demeurait dans un autre village.

En passant dans un bois, elle rencontra Compère le Loup, qui eut bien envie de la manger; mais il n'osa, à cause de quelques bûcherons qui étaient dans la forêt. Il lui demanda où elle allait. La pauvre enfant, qui ne savait pas qu'il était dangereux de s'arrêter à écouter un loup, lui dit: Je vais voir ma mère-grand, et lui porter une galette avec un petit pot de beurre que ma mère lui envoie.

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Oh! oui, lui dit le petit Chaperon rouge; c'est par-delà le moulin que vous voyez tout là-bas, là-bas, à la première maison du village.

Eh bien! dit le Loup, je veux l'aller voir aussi; je m'y en vais par ce chemin-ci, et toi, par ce chemin-là, et nous verrons à qui plus tôt y sera. Le Loup se mit à courir de toute sa force par le chemin qui était le plus court; et la petite fille s'en alla par le chemin le plus long, s'amusant à cueillir des noisettes, à courir après des papillons et à faire des bouquets de petites fleurs qu'elle rencontrait.

Le Loup ne fut pas long-temps à arriver à la maison de la mère-grand. Il heurte. Toc, toc.

schiedenen europäischen und asiatischen Völkern selbständig entwickelt, wie Grimm, Kuhn, Schwarz, Max Müller, M. Bréal und nach ihnen Hahn, Dasent, Cox etc. es behaupten? Stammen im Gegentheil unsere europäischen Mährchen, wie die meisten unserer Fabeln und-Apologen, nur aus Indien her, wo sie zuerst in der Sanscritsprache niedergeschrieben, von daher ins Persische, Mongolische, Arabische, Hebräische, Griechische, Lateinische übersetzt, erst im Mittelalter durch mündliche und schriftliche Mittheilungen nach Europa gedrungen wären, wie Benfey es für Viele schlagend genug bewiesen hat? — Ist nicht der Ursprung mancher dieser Erzählungen ganz einfach in natürlichen Anschauungsweisen, in psychologischen Kategorien zu suchen, die, allen Menschen eigen, sie in gewissen Entwicklungsperioden zu ähnlichen Erfindungen überall führen; so dass z. B. Hottentoten und Kaffern sich einen Reineke Fuchs und einen Däumerling nicht etwa nach den unsrigen, sondern nach der Natur erdichtet haben können, als typische Gegensätze des Schwachen und Klugen im siegreichen Kampfe mit dem Starken und Dummen etc.? — Wir behalten uns vor, dies Thema in einem späteren Vortrage zu behandeln.

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